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Kalksandsteinfabrik H.F. Kistner

OBJ-Dok-nr.: 00003086




Stadt:
Bremerhaven
Bezirk:
Nord
Stadtteil:
Lehe
Ortsteil:
Klushof
Straße:
Hafenstraße 56 & 58 & 60
Werftstraße
Denkmaltyp:
Fabrik & Hartsteinwerk & Schornstein
Eintragung:
2009
Listentext:
Hafenstraße 56/60, Kalksandsteinfabrik H.F. Kistner, 1903-1904 (2009)°
Werftstraße
Kurzbeschreibung:
Das Baugeschäft H. F. Kistner errichtete 1903-1904 auf seinem Lagerplatz an der Geeste im Freigebiet der Stadt Lehe eine Kalksandsteinfabrik. Der Kalksandstein war zum damaligen Zeitpunkt ein neues, noch nicht von den Bauordnungsämtern der Kommunen abschließend auf Druck- oder Feuerfestigkeit hin beurteiltes Baumaterial, für das ein Bauunternehmer nur unter erschwerten Bedingungen Baugenehmigungen erhielt. H. F. Kistner erkannte als erstes Baugeschäft an der Unterweser das ungeheure Potenzial dieses Baustoffs und gehört zu der Gründungsgeneration der Kalksandsteinindustrie in Deutschland.°
Die industrielle Produktion des Kalksandsteins begann 1894 unweit von Bremerhaven, in Neumünster. Der Maurermeister Mechlenburg hatte dort eine wirkungsvolle mechanische Presse der Firma Amandus Kahl aus England eingeführt, die drei integrierte Arbeitsgänge - Füllen, Pressen und Ausstoßen - selbständig erledigte. War es zu Beginn noch die fehlende Qualitätssicherung, konnte mit der Gründung eines Dachverbands im Dezember 1900, dem "Verein der Kalksandsteinfabriken", und durch die Festschreibung der Druckfestigkeit der Steine innerhalb der folgenden drei Jahre der Grundstein zu einer Baustoff-Gütesicherung gelegt werden. 1905 hatte sich die Zahl der Kalksandsteinwerke in Deutschland bereits von 80 auf 209 erhöht. Gleichzeitig war der jährliche Produktionsausstoß von etwa 300 Millionen Steinen auf knapp über eine Milliarde Kalksandsteine angestiegen. Dabei war für die Kalksandsteinindustrie charakteristisch, dass der Vertrieb der Steine aufgrund der Transportkosten nur in einem begrenzten Umfeld ihres Herstellungsortes wettbewerbsfähig war und die Produktion deshalb dezentral angesiedelt war. Die Unterweserregion belieferte damals das Baugeschäft H. F. Kistner.°
Das Baugeschäft H. F. Kistner hat in seiner Kalksandsteinfabrik seit 1904 jährlich 12-20 Millionen Steine gepresst und sich bei der Produktion und Verwendung des Kalksandsteins als besonders experimentierfreudig gezeigt. Insbesondere auf firmeneigenen Grundstücken an der Hafenstraße in der Nähe der Fabrik errichtete das Baugeschäft H. F. Kistner Wohn- und Geschäftshäuser, für die werbewirksam das neue Baumaterial unverputzt zur Verwendung kam (erstmals 1905/06: Hafenstraße 44-48, denkmalgeschützt). Dabei sind auch unterschiedlich eingefärbte Kalksandsteine (gelb, rot und auch blau) als gestalterisches Mittel eingesetzt worden. Das neue Baumaterial Kalksandstein galt damals als derart zukunftsweisend, dass die Handelskammer ihren neuen Dienstsitz an der Friedrich-Ebert-Straße bewusst mit Fassaden aus unterschiedlich eingefärbtem Kalksandstein errichten ließ, um die Etablierung des Kalksandsteins an der Unterweser zu fördern. Aber auch moderne Villenneubauten in der Gildemeisterstraße und die große Wohnanlage des Beamten- Bau- und Wohnungsvereins zu Lehe in der Hinrich-Schmalfeld-Straße aus dem Jahr 1905 stellten das neue Material stolz zur Schau. Nach 1918 hat der Kalksandstein als Fassadenmaterial in den Unterweserstädten keine weitere Verwendung gefunden; deshalb sind die wenigen Beispiele aus heutiger Sicht eng mit der Gründungsphase der Kalksandsteinindustrie verknüpft.°
Kalksandstein gehört zu den ungebrannten Kunststeinen, wird auch als Hartstein bezeichnet und kommt in seinen Eigenschaften dem gebrannten Ziegelstein nahe. Bei der Herstellung wird gemahlener Branntkalk mit Sand (Mischungsverhältnis 1:10) in Löschtrommeln gemischt, in Stempelpressen feucht in Formen gepresst und schließlich unter Dampfdruck erhärtet. Entsprechend bestand das Raumprogramm der Kalksandsteinfabrik H. F. Kistner aus einer diesem Herstellungsprozess entsprechenden Raumfolge: Der Trakt an der Werftstraße enthielt das Kesselhaus, in dem sich die Dampfmaschine, der Dampfkessel und der Schornstein befanden. Auf der Stirnseite zur Hafenstraße ragte das Gebäude für die Kalklöschtrommel auf, dem sich beiderseits das Kalk- und das Sandlager angliederten. Auf der Seite zur Geeste schloss sich daran die stützenfreie, von einer flach gekrümmten Betondecke abgeschlossene Halle an, in der die die Steine gepresst wurden, und im Osten bildete ursprünglich der Trakt mit den Härtekesseln den Abschluss.°
Die Fabrik ist im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, jedoch insgesamt zu 80% erhalten geblieben. Die Planungen zum Wiederaufbau setzten bereits 1946 ein, so dass die Fabrik 1948 nur geringfügig verändert wieder in Betrieb gehen konnte. Der Schornstein wurde bei diesen Bauarbeiten weitgehend erneuert, denn er hatte sich bereits in den Jahren vor dem Krieg bedrohlich geneigt und sollte nun auch erhöht werden, damit die Nachbarschaft "weder durch Rauch noch durch sonst irgendwelche Gerüche" (Bauakte) belästigt würde. Erst in den 1960er Jahren haben dann Umbauten und Modernisierungen das Äußere der Fabrik verändert. Dazu zählte besonders der Umbau des Kalksilos 1962 und die Anbauten zur Hafenstraße aus jüngerer Zeit.°
Die Firma H. F. Kistner Hoch- und Tiefbau ist das älteste und lange Zeit auch das größte Baugeschäft in den Unterweserstädten gewesen. Der 1853 gegründete Betrieb des Maurermeisters Friedrich Kistner hatte 1870 seinen Sitz von der Poststraße an die südliche Hafenstraße verlegt. Dort waren wegen der guten Verkehrsanbindung durch die Hafenstraße und rückseitig die Nähe zum Geestefluss bereits andere Betriebe der Baubranche mit ihren Lagerplätzen ansässig. Einige dieser Unternehmer hatten schon zu dieser Zeit ihren eigenen Wohnsitz in repräsentativen Villenbauten an der Hafenstraße. Die Villa Kistner in der Hafenstraße 50 (denkmalgeschützt) entstand erst 1897, aber ebenso in Sichtweite zum Lagerplatz an der Geeste. Die große und reich dekorierte Kistner-Villa ist Ausdruck einer umfangreichen und überaus erfolgreichen Geschäftstätigkeit der Firma im spekulativen Mietshausbau. Mit der Errichtung der Kalksandsteinfabrik ging H. F. Kistner nach der Jahrhundertwende vom Baustoffhandel auch zur Baustoffproduktion über. In der Zwischenkriegszeit stand dann die Entwicklung der industriellen Bautechniken, besonders der Eisenbetonbau, im Mittelpunkt der Aktivität. Entsprechend war H. F. Kistner an zahlreichen größeren Eisenbahn- Hafenbau- und Industrieprojekten beteiligt. In der Nachkriegszeit expandierte die Firma weiter, hatte einen großen Anteil am Wiederaufbau Bremerhavens und beschäftigte in ihrem Unternehmensverbund zeitweise 700 Mitarbeiter. Über den langen Zeitraum von beinahe 150 Jahren prägte die Firma H. F. Kistner zuerst als Baugeschäft im Mietshausbau und später als Großunternehmen im Hoch- und Tiefbau das Baugeschehen an der Unterweser wie kaum ein anderes Unternehmen und ist deshalb von besonderem geschichtlichen Wert für die bauliche Entwicklung des heutigen Bremerhavens.°
Einer der beiden Firmeninhaber, Carl Kistner (1855-1918), nahm großen Anteil an der Entwicklung der Kalksandsteinindustrie in Deutschland, war sogar von 1908-1910 Vorsitzender des Vereins der Kalksandsteinfabriken. Die Firma Kistner gehörte zu den führenden Baustoffproduzenten an der Unterweser, die als Geschäftsführung dem 1910 gebildeten, örtlichen Vertriebssyndikat "Steinverkauf Unterweser" vorstand, das sich angesichts erheblicher Überkapazitäten im Baugewerbe gebildet hatte, und war entscheidend an der Ausbildung einer überregional bedeutsamen Industrie beteiligt. Nach dem vorzeitigen Tod Carl Kistners 1918 wurde sein Bruder Heinrich Kistner (1863-1937) alleiniger Firmeninhaber, dessen Sohn Heinrich Kistner (1919-1990) in der Nachkriegszeit nicht nur als erfolgreicher Unternehmer, sondern auch als Politiker (1947-51, 1955-59 Mitglied der Bremer Bürgerschaft) und als Kulturmäzen (Thieles Garten) aktiv war.
Epoche:
Jahrhundertwende
Art Dat.:
Herstellung
  Num.-Dat.:
1903-1904
Sozietät:
Entwurf
  Sozietät Name:
H. F. Kistner
  Sozietät Funktion:
Baugeschäft
Quelle:
Ausschreibung 2009
  Herkunft:
Seestadt-Immobilien
Lit.-Kurztitel:
Bickelmann, Hartmut: Zwischen Wohnen und Arbeiten. Eines der ältesten stadtnahen Industriegebiete in Bremerhaven-Lehe im Umbruch =°
Niederdeutsches Heimatblatt Nr. 586 (1998)
  Stelle:
..
Lit.-Kurztitel:
Bickelmann, Hartmut: Werbung durch Anschauung. Kalksandstein an der Unterweser und das Haus Hafenstraße 57 =°
Niederdeutsches Heimatblatt Nr. 567 (1997)
  Stelle:
1-2
Lit.-Kurztitel:
Bickelmann, Hartmut (Hrsg.): Bremerhavener Persönlichkeiten aus vier Jahrhunderten, Bremerhaven 2003
  Stelle:
150-153 (Familie Kistner)
Lit.-Kurztitel:
Bickelmann, Hartmut: Vom Ziegel zum Kalksandstein =°
Heimat Nordseeküste 66 (2014)
  Stelle:
31-39
Lit.-Kurztitel:
Bickelmann, Hartmut: Stadtbezogene Hafenfunktionen in Bremerhaven =°
Peters, Dirk J. und Hartmut Bickelmann (Hrsg.): Hafenlandschaft im Wandel, Bremerhaven 2000
  Stelle:
57-76, hier: 62-66
Lit.-Kurztitel:
Bremer Handelshäuser und Industriewerke, Bremen 1955
  Stelle:
120-121
Lit.-Kurztitel:
Deutschlands Städtebau. Bremerhaven, Geestemünde, Lehe, Berlin 1922
  Stelle:
o.S.
Lit.-Kurztitel:
Droege, Heinrich: Hundert Jahre Bauen. Eine Festschrift zum 100jährigen Bestehen der H. F. Kistner Baugesellschaft in Bremerhaven am 7. August 1953, Bremerhaven 1953
  Stelle:
..
Lit.-Kurztitel:
H.F. Kistner, Baugeschäft, G.m.b.H =°
Deutschlands Städtebau. Bremerhaven, Wesermünde, Berlin 1925
  Stelle:
110
Lit.-Kurztitel:
tb. [Tim Beerens]: Wettbewerb Kistner-Gelände Bremerhaven =°
DABregional 11 - 16
  Stelle:
2. November 2016, S. 3-5