Listentext:
Friedrich-Ebert-Straße 10, Reform-Real-Gymnasium Geestemünde (Wilhelm-Raabe-Schule), 1906-1908 von Karl von Zobel°
Hohenstaufenstraße
Baugeschichte:
Baubeginn 22. Sept. 1906°
1939 Bauantrag für einen Zeichensaal im Dachgeschoß°
die Turnhalle wurde noch im März 1945 als Behelfs-Filmtheater umgebaut, damals Oberschule für Jungen. Betreiber des Kinos war der Eigentümer des "Modernen Theaters" in Geestemünde (als Ersatz).°
1961 Erweiterungsbau der Schule°
1969 Abbruch der "baufälligen" Turmanlage. Für die Instandsetzungsarbeiten wäre angebl. ein unvertretbarer Kostenaufwand erforderlich gewesen.
Kurzbeschreibung:
Die Geestemünder Realschule, ehemals in der Schulstraße 7, konnte an der Wende zum 20. Jahrhundert die durch den Bevölkerungszuwachs steigende Zahl der Schüler nicht mehr aufnehmen. Besonders nachdem 1904 die Realschule um eine Oberstufe zum Reform-Real-Gymnasium (neusprachlich) erweitert wurde, reichte der Platz nicht mehr aus, und es wurde ein Neubau projektiert, der 1906-1908 nach Entwürfen des Geestemünder Stadtbaumeisters Karl von Zobel im Stadterweiterungsgebiet am Hohenzollernring, der heutigen Friedrich-Ebert-Straße entstand. In der Vollanstalt sollten nun die so genannten Vorschulklassen (für Schüler, die später das Gymnasium besuchen sollten) und die Gymnasialklassen (Untertertia bis Oberprima) gemeinsam in einem Gebäude untergebracht werden.°
Das Reform-Real-Gymnasium war eine höhere Bürgerschule, und die vermittelten Inhalte sollten entsprechend ausgerichtet sein. So wurde vom Ministerium ein Erlass erwirkt, dass das Englische, da es für die Küstenbewohner einen höheren Gebrauchswert hatte, auch im Lehrplan stärker berücksichtigt werden konnte. Auf diese Modernisierungstendenzen, die zum einen die Diskrepanz zwischen niederer und höherer Bildung entschärfen und zum anderen auch den Gymnasiasten eine berufsorientierte Ausbildung ermöglichen sollten, bezieht sich auch die Symbolik am Gebäude. Die drei Medaillons über dem Haupteingang mit Anker und Merkurstab / Heroldstab (links), Eule (in der Mitte) und Zahnrad und Zirkel (rechts) versinnbildlichen die für die Region wichtigen Bereiche Schifffahrt und Handel, Wissenschaft, Technik und Handwerk.°
Stadtbaumeister Karl von Zobel entwarf zusammen mit seinem Bauleiter Niemeyer ein mehrflügeliges, sehr stattliches Gebäude im Reformstil der Zeit. In den Details wurden historistische Elemente ebenso wie auch zeitgenössisch moderne Jugendstilelemente verarbeitet - besonders prägnant im Sonnenmotiv des Ziergiebels am Westflügel zu sehen. Der Wechsel von großen Sichtziegelflächen mit hell geputzten Gliederungen ist eher ein Stilmittel der Neugotik, auch wenn dort in den Binnengliederungen die sanften Formen des Jugendstils zum Ausdruck kommen. Insgesamt gesehen ist das Reform-Realgymnasium also ein in bestem Sinne eklektizistischer Bau, dessen Entwurf unterschiedliche Stilelemente zu einem malerischen Gesamteindruck verbindet. Stilreinheit wird gar nicht beabsichtigt und das Ergebnis ist ein gut proportioniertes und bis in das Detail stimmig durchgestaltetes öffentliches Gebäude, das den Wohlstand ebenso wie den Wagemut der damals noch jungen Stadtgemeinde Geestemünde im ausgehenden Kaiserreich repräsentiert. Das Gebäudes strahlt Würde aus, eine Wirkung, auf die - wie es scheint - mit Bedacht hingearbeitet wurde. Wer das Gebäude betritt, schaut zunächst - auch heute noch - auf ein von Rosen umwundenes Kreuz, beim Heraufsteigen beeindruckt das große, reich gestaltete Treppenhaus, dessen Figuren und Verzierungen farbig abgesetzt sind.